Was ist Liebe und wo hat die Liebe ihren Ursprung?
Paul Verhaeghe, klinischer Psychologe und Psychoanalytiker, Professor der Universität Gent, Belgien beschreibt es wie folgt:
„Das Grundmodell der Liebe ist nicht die erotische Beziehung zwischen Mann und Frau, sondern die ursprüngliche Beziehung zwischen Mutter und Kind“
Die Psychologie geht heute sehr stark davon aus, dass die Art, in der wir die Beziehung zu engsten Bezugspersonen, zu Beginn vor allem zu der Mutter, erlebt haben, alle unsere späteren Liebesbeziehungen prägen (vgl. Bindungstheorie und –forschung).
Um dies zu erklären, betrachten wir zunächst die ursprüngliche Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Mutter und Kind bilden zuerst eine Einheit. Während der Schwangerschaft gibt es die direkte körperliche Verbindung zwischen Mutter und Kind. Diese Einheit ist selbst nach der Geburt noch vorhanden, denn für das Baby ist die Mutter zu Beginn kein eigenständiges, von ihm getrenntes Wesen, sondern es ein Teil von ihm.
Die Liebesbeziehung zwischen Mutter und ihrem Baby ist sehr eng, umfassend und ausschliesslich. Mütter stillen, küssen und liebkosen ihr kleines Baby. Wie ausschliesslich und eng diese Mutter-Kind-Bindung ist, erleben insbesondere die Väter, denn sie sind zunächst aus dieser engen Mutter-Kind-Bindung ausgeschlossen.
Ihre Aufgabe liegt darin, sowohl der Mutter wie auch dem Kind zu helfen diese enge Bindung zu lösen.
Nach der körperlichen Trennung mit der Geburt, lernt das Baby allmählich die geistige Trennung, das langsame aber stetig zunehmende „Begreifen“, dass etwa die warme und den Hunger stillende Mutterbrust kein Teil von ihm ist Dieser Prozess ist mit durchaus schmerzhaften Erfahrungen verbunden, z.B. mit dem Erleben von Verzichten und Warten müssen (die Brust ist nicht gleich da), …
Diese Trennungserfahrungen erwecken im Baby die Sehnsucht nach mehr; die Sehnsucht nach einem Gegenüber zu dem man gehört.
So kann man einerseits den Ursprung der Liebe in der Mutter–Kind-Beziehung sehen, die in uns die Sehnsucht nach einem Gegenüber weckt, mit dem man wiederum Eins werden möchte. Die Sehnsucht nach einer Einheit bei der alle unsere Bedürfnisse vollumfänglich gedeckt werden.
Gleichzeitig erlebt das Baby über Küssen, Kuscheln, Umarmen und alle anderen Arten von Berührungen den Ausdruck der Liebe. Diese prägen die Bindung zwischen Mutter und Kind bzw. Vater und Kind. Diese frühen Erfahrungen von Mutter- bzw. Vater-Liebe prägen sich ins tiefe Innere eines Menschen ein (auch ohne Bewusstsein) und beeinflussen alle späteren Beziehungserfahrungen.
Die Theorie der Bindungsstile (nach John Bowlby und Mary Ainsworth) besagt, dass die Arten der Bindungen, die wir früh im Leben entwickeln, die Arten der Beziehungen beeinflussen, die wir als Erwachsen bilden.
Das bedeutet, je nachdem welche Art von Zuwendung und Zuneigung das Kind bekommt und v.a. wie verlässlich diese Zuwendung ist, entsteht ein tiefes Gefühl von Vertrauen oder bei fehlender Zuwendung und fehlender Verlässlichkeit das Gefühl von Misstrauen im Kind bzw. Menschen.
Was ist Liebe?
Die Bindungstheorie unterscheidet vier verschiedene Typen (Stile) von Beziehungen zwischen kleinen Kindern und ihren Bezugspersonen. Im Artikel Die Bedeutung der frühen Kindheit gehen wir vertieft auf die Bindungstheorien bzw. die Auswirkungen der frühen Bindungserfahrungen ein.
Eine wesentliche Annahme der Bindungstheorie besteht darin, dass der besondere Bindungsstil, den wir als Kleinkinder und Kinder lernen, unser Schema (inneres Bild) dafür wird, wie unsere Beziehungen aussehen.
Dieses Schema begleitet uns durch das ganze Leben und beeinflusst, wie wir unsere Beziehungen prägen und unser Gegenüber und die Welt insgesamt wahrnehmen.
So ist beispielsweise ein sicherer Bindungsstil charakterisiert durch Vertrauen, dem Gefühl, dass man wertvoll und geliebt wird oder einem Mangel an Angst vor dem Verlassen-Werden. Erwachsene mit einem sicheren Bindungsverhalten berichten in Befragungen dann auch, dass sie anderen leicht nahe kommen, ihnen schnell vertrauen und befriedigende Liebesbeziehungen haben.
Kinder die erleben, dass ihre Bedürfnisse nicht angemessen befriedigt werden, ihre engsten Bezugspersonen distanziert sind oder gar abweisend auf das Kind und seine Bedürfnisse reagieren, entwickeln einen vermeidenden Bindungsstil.
Das Bindungsbedürfnis des Kindes wird unterdrückt und prägt nun auch in Zukunft das Verhalten anderer Menschen gegenüber. Für diese Menschen wird es eher schwierig werden intime Beziehungen zu entwickeln.
Sie berichten bei Befragungen, dass sie sich unbehaglich fühlen, wenn sie anderen nahe kommen. Oder dass es ihnen schwer fällt, anderen zu vertrauen. Die Liebesbeziehungen werden weniger befriedigend erlebt.
Fazit: Die Art der Beziehung, die wir mit unseren Eltern hatten, beeinflusst unsere Beziehungen mit anderen im Erwachsenenalter.
Wichtig: Die Bindungstheorie impliziert nicht, dass Menschen, die unglückliche Beziehugen mit ihren Eltern hatten, dazu verdammt sind, diese gleiche Art unglücklicher Beziehungen mit jedem zu wiederholen.
Menschen können sich verändern und tun es auch! Neue Erfahrungen in Beziehungen können helfen, neue, andere und allenfalls auch gesündere Wege in den Beziehungen zu anderen zu lernen.
Die Forschungsergebnisse der Bindungstheorie können uns helfen, unser eigenes Verhalten und das unsers Partners zu verstehen.
Ihre
Sara & Peter Michalik